SYNOPSIS

Agnes, eine Lehrerin aus der hessischen Provinz kommt nach Berlin. Sie soll ein totes Mädchen identifizieren. Die Polizei vermutet, dass es sich um ihre fünfzehnjährige Tochter Lydia handelt, die von zu Hause weggelaufen ist. Es ist nicht Lydia. Trotzdem bleibt Agnes in der Stadt. Angetrieben von der Hoffnung, irgendwo ihre Tochter zu finden. Eine verzweifelte Suche beginnt. Bahnhofsmissionen, Drogentreffs, Kontaktstellen für Obdachlose. Orte, die Agnes normalerweise meidet. Die sie ängstigen. Das Schlimmste: nicht zu wissen.

Ines lebt seit Jahren in dieser Stadt. Oft auf der Straße. Manchmal bei Menschen, die ihr Obdach geben. Ein überzeugter Parasit dieser Gesellschaft. Behauptet aber, Malerin zu sein. Die Wege dieser beiden Frauen kreuzen sich. Ines weicht nicht mehr von Agnes` Seite. Dringt mit penetranter Selbstverständlichkeit in Agnes` Leben ein, so als ob es das ihre sei. Agnes lässt es geschehen. Die Unbekannte erscheint ihr unerklärbar, fremdartig, bedrohlich und doch irgendwie vertraut. Ein eigentümliches Verhältnis von Anziehung und Abstoßung beginnt sich zwischen den beiden Frauen zu entwickeln. Agnes ist verwirrt. Verliert die Orientierung. Woher und warum ist Ines zu ihr gekommen? Gibt es eine Verbindung zwischen der Fremden und ihrer Tochter? Soll sie weiter nach ihrer Tochter suchen? Warum weist sie Ines nicht einfach die Tür? Agnes muss eine Entscheidung treffen.

Director’s Note

Am Ende der Dreharbeiten meines Films „madonnen“ drückte mir jemand ein Buch in die Hand. Das hatte den Titel: “dann hau ich eben ab”. Gespräche mit Eltern, deren Kinder von zu Hause abgehauen waren. Das Buch sollte mich animieren, einen weiteren Film mit der damals zwölfjährigen Darstellerin der Fanny aus “madonnen” zu machen. Monate später fing ich dann an, in Berlin im Milieu von Straßenkindern und obdachlosen Jugendlichen zu recherchieren. Und traf auf eine junge Frau, deren Energie und Trotz mich an Fanny erinnerten. Eine, die sich selbst als Künstlerin sah. Aber sich dem Kunstbetrieb verweigerte. So wie sie sich generell den Leistungsanforderungen dieser Gesellschaft verweigerte. Obwohl sie auf Grund ihrer Intelligenz und ihrer Fähigkeiten bestens geeignet gewesen wäre, diese Ansprüche zu erfüllen. Aggressiv vorgetragene Gesellschaftskritik in jeder Form war ihre Lieblingsattitüde. Eine Schmarotzerin aus Überzeugung. Diese Gesellschaft produziere so viel Überfluss. Es sei nur gerecht, daran zu partizipieren. Eine mögliche Geschichte der Fanny fortzuschreiben, interessierte mich. Unmöglich jedoch, ohne die Figur der Mutter. Und die Mütter der Straßenkinder sind nicht notwendigerweise arbeitslos und wohnen im Märkischen Viertel. Sie arbeiten auch als Lehrerinnen. Für Deutsch und Geschichte, zum Beispiel. An einem humanistischen Gymnasium in einer hessischen Kleistadt. Sehr bürgerlich, sehr normal, sehr geregelt. Aber sie weigern sich, zu sprechen. Über den Makel. Die Schuld. Und die Scham. „Das Wichtigste im Leben sind die eigenen Gefühle. Wenn das nicht beschädigt würde, wäre man ein Leben lang ein phantastischer Mensch. Wenn man etwas fühlt, dann ist es wahr." (John Cassavetes) Der erste Ort der Beschädigung ist die Familie. Die Familie ist diese Gesellschaft in ihrer kleinsten Organisationsform. Alles, was das Leben der Gesellschaft bestimmt, bestimmt auch das der Familie und umgekehrt. Aber die Beziehungen in Familien sind nicht nach öffentlichem Gesetz und Ordnung geregelt. Deshalb sind die Verhältnisse liebevoller oder brutaler und rücksichtsloser. Agnes und Ines, die beiden Hauptfiguren meines Films, tragen ihre familiären Verletzungen mit sich, als sie sich begegnen. Als Mutter und als Tochter. Mit der Chance, sich in diesen Rollen anders zu erfahren. Oder sich zu wiederholen.